Jamaika


Bei unserem ersten Besuch gingen wir In Kingston Town an Land.

Jamaika. Insel der Träume.

Eine kleine  Steelband empfing uns und ließ vergessen, dass wir uns in einem schwer bewachten Areal befanden mit hohen Stacheldrahtwänden und Militär. Der Terminal war hermetisch abgeriegelt. Wie ein Gefängnis.

Wir hatten vor, uns zu Viert ein Taxi zu mieten und eine individuelle Inselrundfahrt zu unternehmen. Aber eine Soldatin mit vorgehaltenem Gewehr stoppte unseren Alleingang:

„Halt! Stopp! Wo wollen Sie hin? Die Busse stehen dort drüben.“

„Wir suchen ein Taxi für eine Inselrundfahrt.“

Sie beäugte uns genau, dann winkte sie einen Polizisten heran und ließ ihn ein „sicheres“ Taxi bestellen. Eins mit einem besonderen Kennzeichen.

 

Gleißende Sonne, flirrender Staub, unendliche Bläue und überall der Klang der Steelguitars.

Braunhäutige, anmutige Menschen. Exotisches Sein, so anders als unseres, so irgendwie unbeschwert trotz der entsetzlichen Armut, in der sie leben. Barfuß in kunterbunten Kattunstoffen oder abgerissenen Shorts. Swingende, biegsame Körper. Sie scheinen zu tanzen, wenn sie sich bewegen. Hören sie Musik, für die wir taub sind?

Aber auch die Gewalt lebt hier. Blauer Himmel und blaues Meer sollten keineswegs zu Blauäugigkeit verführen. Denn dann kann aus dem blauen Traum ganz schnell ein schwarzer Alptraum werden. Wie wir abends erfuhren, war einer der Ausflugsbusse sogar von einer Polizeieskorte begleitet worden.

Wir dagegen verbrachten einen unbeschwerten Tag mit unserem Taxifahrer, der uns quer über seine Insel kutschierte und uns alles zeigte. Die ganze Insel ist hügelig, dichte Wälder wechseln sich ab mit leuchtend bunten Tälern. Überwältigende Blumenpracht zieht die Blicke des Besuchers auf sich. Und immer wieder, plötzlich, wenn man aus einer der haarsträubenden Haarnadelkurven heraus kommt, der Blick auf das türkisfarbene Meer.

Als wir Richtung Ocho Rios kamen, erzählte uns der Guide, dass Columbus damals, als er sich zum ersten Mal vom Meer her der Insel näherte, dachte, er hätte acht Flüsse entdeckt. Daher nannte er den Küstenstreifen Ocho Rios. Hier gibt es einen begehbaren Wasserfall Dunns River Falls. Aus 190 Metern Höhe fällt der Fluss über viele, flache Stufen hinab ins Karibische Meer. Wie gerne hätten wir mitgemacht mit den vielen Menschen, die Hand an Hand laut kreischend den Wasserfall hoch kletterten. Aber wir hatten weder Wasserschuhe noch Badezeug mit. Ich schwor mir, sollte ich je in meinem Leben nochmals hierher kommen, ich würde diesen Wasserfall hoch krabbeln.

 

Drei Jahre später kamen wir tatsächlich wieder nach Jamaika. Ich hatte dem Besuch schon regelrecht entgegen gefiebert. Unser Schiff legte wieder in Kingston an. Wir waren wieder auf der Insel Bob Marleys, des Reggaes, der Steelbands. Der Insel der Träume. Aufgeregt schnupperten wir nach vertrauten Düften und Klängen. Doch der Himmel war bedeckt. Kein flirrender Staub in der gleißenden Sonne, keine Musik in der Luft. Einfach nur eine Insel. Eine Insel im Alltag.

 

Zwei Stunden Fahrt im Bus bis zum anderen Ende der Insel. Wir erkannten vieles wieder. Die ehemalige Hauptstadt Spanish Town schien unverändert. Die Townships genauso elendig arm wie damals mit ihren Hütten im Staub, zusammen gewürfelt aus Wellblech und Pappe. Zeit im Überfluss.

Wir kurvten wieder durch die Berge mit ihren altersschwachen Brücken über kleinen Flüssen und den Haarnadelkurven, die mich damals schon in Angst und Schrecken versetzt hatten. Wir erkannten sogar die Kurve wieder, in der vor drei Jahren der „Blumenmann“ mit seinem geschmückten Esel gestanden hatte. Allein irgendwo im Nirgendwo.

 

Dann endlich: Ocho Rios.

In der qualvollen Enge des Busses zogen wir uns um, und dann ging's los. Unten am Strand sammelten wir uns alle um unseren jamaikanischen Führer. Es war nicht gerade warm im Wasser. Obwohl es so traumhaft smaragdgrün schimmerte. Oben ballten sich dunkle Wolken. Der Wind rollte unsere nackte Haut zu einer dicken Gänsehaut auf, und dann fing es an zu schütten. Aber da wir eh nass wurden, war das auch schon egal.

Der Wasserfall war nicht in Stimmung für uns. Er brauste und schüttelte sich. Er tobte und wirbelte. Vor drei Jahren, als wir von oben zugeschaut hatten, war er mild und freundlich wie ein alter Opa gewesen.

Ich fand es sehr schwierig, durch das Gewirbel des Wassers zu gehen, denn man konnte nie den Boden sehen, keine Löcher, keine Felsen, gar nichts. Ich tastete mich immer auf Verdacht weiter durch das schäumende, brausende Wasser von vorne, oben und unten. Die Strömung war echt heftig. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, denn eigentlich bin ich alles andere als eine Wasserratte. Und wir waren noch lange nicht oben. Vor uns lag noch eine steile Wand.

Aber vorher mussten wir noch durch eine niedrige Grotte tauchen. Tauchen? Ich? Durch wildes Wasser, ohne was sehen zu können? Ich presste die Augen zusammen, hielt die Luft an und tauchte unter. Und da wäre ich wahrscheinlich auch geblieben, wenn mein Mann mich nicht von der anderen Seite her rausgezogen hätte. Ich schnappte nach Luft und fing wieder an zu leben. Vor lauter Freude, überlebt zu haben, ignorierte ich tapfer die Verletzung am Fuß, die ich mir an einem unterirdischen Felsbrocken zugezogen hatte.

Und dann waren wir schon an der steilen Felswand. Inzwischen war ich schon so platt, dass ich dachte, ich stürze gleich ab. Hier mitten im nächsten Strudel, und kein Mensch merkt, dass ich weg bin.

Mein Mann kraxelte vor mir, ich konnte ihn so gerade eben noch durch die dichte Gischt sehen. Seine Hand hatte ich ausgeschlagen, weil ich meine beiden Hände selber zum Klettern und Festkrallen brauchte. Mir war schwindlig von den Wassermassen, die auf und über mich hinweg fluteten und mich ertränken wollten.

 

Also, ich kann jedem ziemlich fitten, gesunden, relativ jungen Menschen diesen Wasserfall Dunns River Falls empfehlen. Aber er sollte sich vorher unbedingt den Wetterbericht anschauen. Ein Erlebnis ist er auf jeden Fall.

 

Diese und andere Erlebnisberichte können Sie gerne in meinem Buch "Emmerich in Übersee" lesen


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